Neugierig geworden durch die Erzählungen unseres Klassenlehrers, machte sich die VO3 des Klaus-Steilmann-Berufskollegs, bestehend aus 11 Verwaltungsfachangestellten der Städte Herne, Bochum und Hattingen, begleitet von unseren Klassenlehrern Herrn Müller und Herrn Götz, auf den Weg, eine beschauliche Insel vor der Küste Cuxhavens zu erkunden. Hamburgs Außenposten in der Nordsee.

Mit im Gepäck: Jan Cux, unser umsorgtes Maskottchen; eine kleine Werbefigur aus den 80er Jahren, immer gut gelaunt, mit großen weiten Kulleraugen.

Die Nordseeinsel Neuwerk, vielen Tatortfans aus dem Jahr 1996 noch ein Begriff, gehört zum Verwaltungsbezirk Hamburg-Mitteund mit ihrem vorgelagerten Wattenmeer sogar zum UNESCO-Weltnaturerbe. Letzteres sollten die besonders Wagemutigen von uns auf ihrem Weg zum „Einmannland“ Scharhörn noch kennenlernen.

Wie wird eine so kleine Insel verwaltet? Welche Aufgaben sind zu bewältigen? Wie würden wir als Gruppe in einem Schullandheim mit großen Schlafsälen alter Prägung miteinander auskommen? 32 ständige Bewohner, eine Inselschule und drei Quadratkilometer Fläche, ein kleines Dorf im Wattenmeer mit über 100.000 Besuchern jährlich, kein Autoverkehr, ein Friedhof der Namenlosen…

Weil Herr Müller (nicht der aus dem Film!) uns so von der Insel vorgeschwärmt hatte, brachen wir ohne feste Vorstellungen aber mit großer Neugier am 05. September in aller Herrgottsfrühe vom Bochumer Hbf. gen Norden auf.

Wir wussten nicht, was uns erwarten würde – außer, dass es, abgesehen von einem Leuchtturm und viel Natur, eigentlich nicht viel zu sehen gab.

Als wir uns von den typischen, gelben Wattwagen in Form von Pferdekutschen bei Ebbe nach Neuwerk übersetzen ließen, waren wir schon sehr gespannt darauf, wie unsere Unterkunft, das Schullandheim am Turm, ausgestattet sein würde. Betreut wird das Schullandheim von der Heinrich-Hertz-Schule aus Hamburg. Gruppen können es anmieten.

Da die Einkaufsmöglichkeiten vor Ort gering sind (ein Inselkaufmann!), organisierten wir uns im Vorfeld Versorgung vom Festland, genauer gesagt von einem Supermarkt in Cuxhaven.

Bevor das Schiff MS Flipper der Reederei Cassen Eils am frühen Abend die Lebensmittel lieferte, bestiegen wir den alten, 45 Meter hohen Leuchtturm aus dem 13. Jahrhundert, der das älteste erhaltene Bauwerk Hamburgs ist und rund 100 Kilometer Luftlinie vom Hamburger Rathaus entfernt steht. Bis vor wenigen Jahren war er intaktes Seefahrtszeichen für die Frachtschiffe in der mitunter gefährlichen Elbrinne der Nordsee. Ein toller Rundumblick über die Insel, auf die Küste und die Vogelinseln Scharhörn und Nigehörn entschädigte uns für den etwas beschwerlichen Aufstieg auf den Turm.

Maurice suchte allerdings vergeblich nach seinen Ritzereien aus der Kindheit ins Blech des Turmdaches.

Das Abendprogramm des ersten Tages bestand dann darin, voll bepackt mit Lebensmitteln erste Wanderungen über die Insel vom Anleger des Schiffes zum Schullandheim zu unternehmen.

Im Schullandheim selbst musste jeder mit anpacken und anfallende Arbeiten wie Kochen, Spülen und Aufräumen wurden gleichmäßig zwischen uns aufgeteilt.

Müde von der getanen Arbeit und der anstrengenden Anreise, ließen wir den ersten Abend in gemeinschaftlicher Runde bei verschiedenen Gemeinschaftsspielen ausklingen. Werwölfe erwachten, Herr Müller wurde beim Würfeln zum Ober-Meier und Herr Götz wandelte sich mit Gitarre zum Ed Sheeran Neuwerks.

 

An unserem zweiten Tag auf Neuwerk lernten wir die Stackmeisterei auf Neuwerk kennen. Der Leiter der Stackmeisterei der Insel, Philipp Krüger von der Hamburg Port Authority AöR (HPA), die der größte Arbeitgeber auf Neuwerk ist, war so nett, sich ein paar Stunden Zeit für uns zu nehmen. Er berichtete spannend und sachkundig über die vielfältigen Instandhaltungs- und Reparaturaufgaben auf Neuwerk. Die Arbeit seines Teams wurde bei einem Rundgang auf der Insel sehr deutlich. Vor allem interessierte uns als angehende Verwaltungsfachangestellte natürlich, wie die Verwaltung (auf) der Insel abläuft und welche Aufgaben Herr Krüger als Stackmeister dort hat. Das Wort leitet sich ab vom Stecken von Wellenbrechern am Inselufer. Schwere Eichenbohlen wurden in den Wattboden getrieben, um die Wellen zu brechen.

Grundsätzlich nimmt Herr Krüger, abgesehen von hoheitlichen Aufgaben, alle Verwaltungsaufgaben (Budget, Personal, Bauliches)wahr. Er und sein Team von zwölf Mann sind als Mitarbeiter der HPA für alle öffentlichen Belange wie z.B. Trinkwasserversorgung, Kläranlage, Deichschutz und Wegepflege auf Neuwerk zuständig. Jährlich steht für diese Arbeiten und die dafür benötigten Anschaffungen ein bestimmtes Budget von 6 – 8 Millionen € zur Verfügung.

Die Mitarbeiter arbeiten und leben regelmäßig zehn Tage lang auf der Insel. Anschließend haben sie vier Tage lang frei und verbringen diese Zeit bei ihren Familien auf dem Festland. Bezahlt werden sie nach dem Tarifvertrag für Hafenmitarbeiter.

Jeder der zwölf Mitarbeiter hat mindestens zwei „Spezialgebiete“, in denen er arbeitet, kann jedoch auch andere Aufgaben übernehmen, sodass sich laut Herrn Krüger eigentlich immer eine Vertretung findet und immer jeder dort mit anpackt, wo Hilfe gebraucht wird.

Wir stellten uns natürlich die Frage, wer die hoheitlichen Aufgaben auf der Insel übernimmt, wenn nicht Herr Krüger. Die Antwort darauf ist eigentlich ganz einfach und wir konnten sie sogar live miterleben: Wenn sie gebraucht wird, ist die Wasserschutzpolizei mit dem Helikopter innerhalb von 10 Minuten vor Ort. Als wir gerade darüber sprachen, landete tatsächlich ein Helikopter der Wasserschutzpolizei auf dem Helikopter-Landeplatz, nicht weit entfernt vom Schullandheim. Am Ende der dreistündigen (!) Information und Führung über die Insel gab es einen Sonderapplaus und ein kleines Dankeschön für Philipp Krüger, der mit seinem Team tolle Arbeit auf der Insel leistet.

 

Am Freitag traten die bereits erwähnten besonders wagemutigen Fahrtteilnehmer (3 Schüler, 2 Lehrer und ein weiterer Gast) die Wanderung durch das Wattenmeer zur Vogel-Insel Scharhörn an. Scharhörn war uns vor der Fahrt als „Einmannland“ in der Dokumentation eines jungen Filmemachers bekannt gemacht worden. Als Vogelwart hatte der junge Mann seine mehrmonatige Arbeit auf der Vogelinsel (als“ Ein-Mann“) gefilmt.

Während sich der Rest der Gruppe angesichts des Regens ins Schullandheim zurückzog und Hausarbeiten und Kochen erledigte, trotzte die kleine Wandergruppe, angeführt von der orts- und wegekundigen Sina vom Naturschutzverein Jordsand, der schlechter werdenden Witterung. Trotz peitschenden Regens und heftigen Windböen der Stärke 5, kämpften sich die mittlerweile bis auf die Haut durchnässten Wanderer weiter durch das sonst so schöne Wattenmeer.

Pünktlich mit Erreichen des Inselrands wurde auch das Wetter besser und wir wurden vom diesjährigen Vogelwart Sebastian mit wohltuend heißem Tee empfangen. Sebastian lebt für drei Monate als Vogelwart selbstständig und allein auf der Insel und verbringt seine Zeit u.a. damit, Vogelarten zu bestimmen und zu dokumentieren. Außerdem hält er die Insel von Müll frei und bietet Führungen für Besuchergruppen an. Er ist bewusst aus der Alltagshektik als Selbstständiger ausgestiegen, um hier ein anderes, ruhigeres Leben zu führen und sich zu besinnen.

So gestärkt und bei mittlerweile strahlendem Sonnenschein, machten wir uns mit neuem Schwung auf den Rückweg. Hier zeigte sich das Wattenmeer noch einmal von seiner schönsten Seite. Ganz nebenbei erlebten wir eine Filmcrew im Watt, die Teile eines Sciencefiction-Thrillers auf den Weiten des Sandbodens drehte.

Nach insgesamt vier Stunden erreichten wir mit schmerzenden Füßen, aber irgendwie stolz und glücklich, wieder unsere Unterkunft. Die Daheimgebliebenen hatten den Hausputz erledigt und vor allen Dingen ein leckeres Abendessen gekocht. Es wurde wieder ein lustiger Abend…mit Ober-Meier, Sheeran und hungrigen Werwölfen…

Den Samstag begannen wir zunächst mit der Besichtigung der Inselschule. Diese wird von lediglich zwei Schülerinnen besucht und die einzige Lehrerin, Frau Fabig, ist für sämtliche Lehr- und Verwaltungsaufgaben (z.B. Budgetplanung, Beschaffung oder Lehrplaneinhaltung) zuständig. Trotzdem widmete sie uns ihren freien Samstagmittag, um uns durch die Schule zu führen. Die Schule verfügt neben einem Klassenraum über einen Gymnastikraum, einen Werkraum und ein Sekretariat.

Da Frau Fabig selbst erst seit zwei Jahren „Insulanerin“ ist, erinnert sie sich noch gut an die Umstellung auf die Insel. Die damit einhergehenden Widrigkeiten sind für die Schülerinnen wohl am deutlichsten zu spüren. Um dem entgegenzuwirken, verbringen sie ca. vier Wochen im Jahr in einer „normalen“ Grundschule auf dem Festland. Im Alter von zehn (!) Jahren, müssen sie auf das Festland in das Internat in Bad Bederkesa wechseln, um dort die weiterführende Schule zu besuchen. Ein häufig schmerzhafter, heftiger Einschnitt in der Kindheit.  Am Ende stellten sich noch einmal alle für ein Gruppenfoto vor die kleine Inselschule. Ein herzliches Dankeschön an Frau Fabig, die durch die Inselbesonderheiten eine sehr verantwortungsvolle pädagogische Aufgabe hat.

Den Nachmittag wollten wir ursprünglich für ein Treffen mit dem Inselbürgermeister Volker Griebel nutzen, dieser musste uns jedoch leider kurzfristig absagen, da er als Gastwirt und Pensionsinhaber sich um die besagte Filmcrew mit 30 Personen kümmern musste. So blieb es bei einem kurzen Gespräch mit Herrn Müller und Herrn Götz, die zumindest die wichtigsten Informationen erfragen konnten.

Der Inselbürgermeister übernimmt lediglich repräsentative Aufgaben, hat jedoch im Katastrophenfall die Befugnis, Anordnungen zu treffen. Außerdem fungiert er als Vermittler zwischen den Verwaltungsbehörden in Hamburg und den Insulanern. Im Übrigen kommt die Behörde zu den Insulanern. Die wichtigsten Angelegenheiten werden von einem mobilen Service auf der Insel erledigt, sodass man nicht ins entfernte Hamburg muss. Der Dezernent für Bürgerservice der Stadt Hamburg, Herr Wilkens, hatte uns im Vorfeld der Studienfahrt über diese und weitere Verwaltungsbesonderheiten Neuwerks informiert und mit Material versorgt. Auch an Herrn Wilkens ein herzliches Dankeschön!

 

Der Sonntag kam überraschend schnell und brachte neben einer Endreinigung des Schullandheimes die Abreise mit sich – dieses Mal mit dem Schiff. Nach erneut ermüdend langer Zugfahrt, kamen wir um 20:47 Uhr wieder Zuhause in Bochum an und blicken auf fünf schöne, aber auch anstrengende Tage auf Neuwerk zurück. Inselverwaltung und Teambuilding, zwei starke Themen, werden uns noch lange gedanklich begleiten. Und vielleicht stimmt der Refrain des Insel-Kultschlagers „Einmal Neuwerk noch sehn…“, den wir dann noch gemeinsam eingesungen und auf Film gebannt haben,ja doch!

Neben einem Überblick über die Verwaltung und das Dorf Neuwerkmit Briefkasten, Feuerwehr, Klär- und Trinkwasseranlage, Sportplatz und Friedhof, haben wir außerdem gelernt, was Neuwerk denn nun tatsächlich ist:

 

Wenn man die größeren Einkäufe nur mit dem Schiff erledigen kann…

Wenn man in der Nacht jeden Stern benennen kann…

Wenn die Gezeiten deine Tagesplanung beherrschen…

Wenn die Post mit dem Wattwagen kommt…

Wenn jeder mit anpacken muss…

Wenn man sich immer am Leuchtturm orientieren kann…

Wenn wirklich wuchtiger Wind weht…

Wenn Doris und Frank im „Anker“ einen Stammplatz am Tresen haben…

Wenn abends nur drei Laternen den Mittelweg beleuchten…

 

 

Wer mehr Fotos gucken möchte, kann das weiter unten tun.

Wer Lust auf Neuwerk und das Schullandheim bekommen hat, kann hier schauen:

https://neuwerkamturm.de/

 

Text:    Luisa Birkmann (VO3/Stadt Herne), Sandra Wolf (VO3/Stadt Hattingen)

Fotos:  Volker Müller und Olaf Götz, Klaus-Steilmann-Berufskolleg